Phönix aus der Flasche

Lothar Rumold

Phönix aus der Flasche oder Who’s Afraid of White, Green and Brown?

Der diskrete Charme der Ökologie in den Recycling-Bildern von
Markus Jäger und Bernhard Schmitt

 

Über Recycling

Alles Geschehen ist einmalig und nie sich wiederholend. Es trägt das Merkmal der Richtung (der „Zeit“), der Nichtumkehrbarkeit. Das Geschehene, als nunmehr Gewordnes dem Werden, als Erstarrtes dem Lebendigen entgegengesetzt, gehört unwiderruflich der Vergangenheit an.
(Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes)

Recycling könnte man allgemein bezeichnen als den Versuch, die von Oswald Spengler behauptete Irreversibilität der Ereignisse zu relativieren, die Unwiderruflichkeit des Verdikts aus und vorbei infrage zu stellen. Im Gegensatz zur Arithmetik der Antike, so Spengler weiter, kenne die abendländische Analysis die „Konzeption einer veränderlichen Zahl, die unterhalb jeder von Null verschiedenen endlichen Größe sich bewegt, selbst also nicht den geringsten Zug einer Größe mehr trägt.“ Dieser Grenzwert, der keinen bestimmten Wert mehr annimmt, ist gewissermaßen der Prozess der Annäherung selbst: „Er ist kein Zustand, sondern ein Verhalten.“ Mit dem Verhalten des Recycling hätte demnach ein Konzept der abendländischen Mathematik eine nichtmathematische, alltäglich-profane Gestalt angenommen. Denn Recycling ist eher zuerst als zuletzt der vom Abendland ausgehende Versuch, nicht nur das eigene Untergehen im eigenen Müll, sondern letztlich den Nullpunkt der globalen Katastrophe bis zum Sankt Nimmerleinstag hinauszuzögern: Recycling ist das auf Dauer gestellte Noch-nicht-am-Ende-Sein.

Der recycelte Gegenstand ist Träger einer Substanz, die bei Strafe des Untergangs des Abendlands nicht vergehen darf. Der jeweils neue Phönix (Laubbläser, HD-Fernseher, Geländewagen), der sich aus der Asche der Plaste und Elaste, der Flaschen, Elektrogeräte und Printprodukte erhebt, verkörpert das Prinzip des ewigen Lebens seiner materiellen Grundlage: Recycling ist die Auferstehung des Fleisches der Produkte in Form neuer Produkte.

Das immer wieder neu Gewordene und zu neuer, anderer Form Vergegenständlichte ist zugleich das stets aufs Neue Tote. So haftet dem Wiederholungsvorgang (im Idealfall ad infinitum) zugleich ein Aspekt des Wiedergängerischen und Untoten an. Recycling realisiert das Paradox des lebenden Leichnams: Recycling ist Wiedergängertum im Zeitalter seiner technischen Produzierbarkeit.

Durch die hoffentlich endlose Folge von Wiedergeburten der Artefakte wird, wie schon erwähnt, der Zeitpunkt des finalen perdu ad infinitum hinausgeschoben. Schlechte Zeiten für die Produktseele, die sich zum Buddhismus bekennt: Recycling ist Buddhismus minus Nirwana.

Wer über Recycling spricht, wird von Nachhaltigkeit nicht schweigen wollen. Nachhaltig sind Produkte dann, wenn ihren Produktionsbedingungen das Ideal des Perpetuum mobile zugrunde liegt. Recycling kann dabei helfen, dem Ideal nahe zu kommen. Unser täglich Brot gib uns heute und vergib uns, dass wir in der Vergangenheit so vieles unwiederbringlich weggeworfen haben, anstatt es in den keineswegs teuflischen Zirkeln der Produktions-Konsumtions-Ketten endlos rotieren zu lassen. Aus Output wird Input wird Output wird Input. Wo einmal Abfallpolitik nötig war, ist nun der Zugang zu einer anderen Art von Rohstoff zu gewährleisten und zu regeln: Recycling ist Nachhaltigkeit ist Erlösung vom Übel der Mülldeponie.

Wenn schon der emaillierte Aschenbecher von 1913 „teils zum Schmuck und teils zum Rauchen“ (Kurt Tucholsky) gewesen ist, wie schmuck (schön) wird dann erst, abgesehen von seinem praktischen Nutzen, der recyclierte Schirmständer aus Sekundär- und Tertiärrohstoffen sein, der heute vorübergehend am Ende eines Systems von aufeinanderfolgenden und ineinandergreifenden Wiederverwertungsprozessen steht. Denn die ökopolitische Schönheit der Produkte aus nicht-primären Rohstoffen ist mittlerweile Common Sense: Recycling is beautiful.

Über Noncycling

Eine neue Gesteinsart, ein Konglomerat aus Plastik, vulkanischem Gestein, Sand, Muscheln und Korallen, wurde 2014 an der Küste von Hawaii entdeckt. Die kanadische Geologin Patricia Corcoran (University of Western Ontario) erfand, besser gesagt: konglomerierte dafür den Namenplastiglomerates. Man kann in jenen hybriden Klumpen offenbar die eingebackenen ehemaligen Zahnbürsten, Gabeln, Seile und noch manches mehr gut erkennen. Wenn die zivilisationsbedingten Bestandteile fürs erste unauflöslich mit den schwereren natürlichen Materialien verschmolzen sind, sinkt das neue Gestein auf den Meeresgrund, wird Teil der Erdgeschichte und hat somit gute Chancen, den Forschern kommender Jahrtausende (so es sie denn geben wird) Rätsel aufzugeben.

Bevor sie auf dem Meeresgrund landeten, trieben die Plastikteile womöglich im Great Pacific Garbage Patch (Großer Pazifischer Müllfleck), den man vom hawaiianischen Midway-Atoll aus gut beobachten könnte, wenn das US-Militär den Zugang gestatten würde. Insgesamt fünf große Meeresdriftströmungswirbel gibt es weltweit und man muss wohl annehmen, dass in jedem dieser Strudel einige hunderttausend der insgesamt acht Millionen Tonnen Kunststoffmüll mitbewegt, in Verbindung mit UV-Licht nach und nach pulverisiert und schließlich in die menschliche Nahrungskette eingegliedert werden. Zukünftige Anthropologen werden sich womöglich der Tatsache stellen müssen, dass der Mensch nicht nur im zivilisatorisch-kulturellen Sinn, sondern bis in die Feinstruktur seiner Physis hinein Resultat menschlichen Handelns ist. Die nicht erst jetzt problematisch gewordene Unterscheidung zwischen Natur und Kultur wird weiter an Überzeugungskraft verlieren.

Alles bewegt sich, alles dreht sich. Wo es um Recycling geht, ist von Rotation vor allem metaphorisch die Rede, wo es um die Müllstrudel der Weltmeere geht, ist die Kreisbewegung des Plastikmülls maritime Wirklichkeit. Vom sprachlichen wie vom Meeresoberflächen-Bild wird nahegelegt, sich dem Thema Recycling (einschließlich Non-Recycling oder Noncycling) kreisförmig zu nähern. Markus Jäger und Bernhard Schmitt haben dies getan. Ihre künstlerischen Materialversammlungen der relikte Serie (2012 ff.) kreisen um eine planimetrische Mitte, die als Zentrum darüber hinaus semantisch leer bleibt. Mal sieht es nach einem trägen Sich-im-Kreis-Drehen der Gegenstände aus, mal scheint eine zentrifugal wirkende Kraft diese zu beschleunigen und am Rande der Kreisfläche bereits unterschiedlich weit vom Mittelpunkt weggetragen zu haben.

Über Up- und Downcycling

Recycling heißt im Grund nur, dass aus etwas Altem etwas Neues, aus etwas Verbrauchtem ein Noch-zu-Verbrauchendes, aus Müll beim Durchlaufen der dreistufigen Verwertungskaskade (Sammeln, Sortieren, Aufbereiten) wieder ein verkäufliches Produkt (in der Regel ein Zwischenprodukt) gemacht wird. Bei genauerem Hinsehen kann jedoch mindestens noch zwischen Upcycling und Downcycling unterschieden werden.

Macht man aus einer Flasche wieder eine Flasche, liegt ein Fall von Downcycling vor, da die Qualität des Glases unweigerlich gelitten haben wird. Es wäre eventuell besser gewesen, die Flasche zum Bau eines Hauses zu verwenden oder auch zur Herstellung (zum Schaffen) eines Kunstwerks. Upcycling heißt hier der komplementäre Terminus, der eine Bewegung nach oben, das heißt eine Qualitätssteigerung suggeriert. Die gleichwohl festzustellende Minderung der Glasqualität spielt dabei keine Rolle, da das zum Haus- beziehungsweise Kunst-Bau verwendete Glas nicht mit anderen Glasarten, sondern mit anderen Bau- respektive Kunst-Stoffen zu vergleichen ist.

Zu untersuchen wäre, ob, wann und wo die Müllaufwertung (typischerweise als Papiermüllveredelung auf dem Wege des Kleidungs- oder Möbeldesigns) noch etwas anderes ist als eine Maßnahme zur Erhöhung des Aufmerksamkeitsindexes der Produkte. Mit angeblichem oder Pseudo-Upcycling ist der Welt als Nachwelt mittel- und langfristig nicht geholfen, sofern man als authentische Hilfe nur das gelten lassen will, was sich in einer messbaren Reduzierung oder Kompensation schädlicher Effekte niederschlägt.

Über Metacycling

Boris Groys stellte 2003 in seiner Topologie der Kunst fest, die Kunst sei unbestreitbar ein Wirtschaftszweig, daher sei das Kunstwerk „eine Ware wie jede andere“. Auch Recycling ist seit geraumer Zeit ein Wirtschaftszweig, in dem mit spezifischen Produkten und Dienstleistungen Umsätze und Gewinne gemacht werden. Markus Jägers und Bernhard Schmitts Recycling-Bilder-Waren-Produktion gehört in gewisser Weise nicht nur dem einen, sondern auch dem anderen Wirtschaftssektor an. Dass der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e.V. (BDE) das Künstlerduo als Verbandsmitglied aufnehmen würde, darf allerdings bezweifelt werden. Denn die von Jäger&Schmitt praktizierte Form des Müllrecyclings findet zu hundert Prozent im Symbolraum der Kunst statt, die oben erwähnte Glasflasche würde beim Bau ihrer Werke also gar nicht stofflich real zum Tragen kommen.

Mit dem Hinweis auf den symbolischen Charakter des künstlerischen Produkts scheint man als artistischer Re- oder Upcycler peinlichen Fragen nach Qualitätsunterschieden und Energiebilanzen glücklich entronnen zu sein. Wenn der Wert-Stoff Kunst die irdischen Belange transzendiert (das Kunstwerk ist nach Th. W. Adorno „das Andere der Empirie“ und umgekehrt die stoffliche Wirklichkeit das Andere der Kunst), können Probleme der qualitativen Auf- oder Abwertung im Bereich der Kunst nur metaphysischer Natur sein. Und auch ohne Adorno gelesen zu haben, werden nicht wenige Künstler vom ideellen (kulturellen) Maximalwert der Resultate ihres Schaffens überzeugt sein.

Doch ebenso wie das eigentlich nicht mit Geld zu Bezahlende auf diversen Kunstmärkten zu exakt feststellbaren Preisen die Besitzer wechselt, wird die physisch-empirische (nicht die metaphysisch geschönte) Ökobilanz des künstlerischen Tuns und Lassens (en gros und en détail) früher oder später einer Prüfung zu unterziehen sein. Marcel Duchamps Urinal wird einmal mehr besser wegkommen als der berühmt-berüchtigte Ölschinken, insbesondere dann, wenn dieser vor der Zeit der umweltfreundlichen Farben auf die mit fragwürdigen Verfahren hergestellte Leinwand gebracht worden ist. Die stoffliche Wirklichkeit als ihr Anderes wird die Kunst eines nicht mehr fernen Tages einholen und sie fragen, ob sie nicht eine Chance sehe, bei ihrem Negieren der Realität diese auch materialiter außen vor zu lassen oder doch wenigstens umweltschonender zu behandeln, als das bisher in manchen Fällen der Fall gewesen ist.

Eine Ökobilanz der Werke (Produkte) von Markus Jäger und Bernhard Schmitt hat deren primär digitale und erst sekundär analoge oder haptische Natur in Rechnung zu stellen. Die Instrumente, mit denen sie hergestellt (geschaffen) wurden, dienen daneben noch einer Reihe von anderen Zwecken. Ihre Verstofflichung oder Inkarnation ist nicht Bedingung ihrer Existenz, sondern vollzieht sich on demand oder on decision. Nicht zuletzt das ist es, was den diskreten ökologischen Charme dieser Werke ausmacht. Erst in der nicht-digitalen Phase ihrer Existenz jenseits des virtuellen Raums werden sie zu potentiellem Müll, für dessen ökopolitisch korrekte Entsorgbarkeit von vornherein Sorge zu tragen wäre.